Elija, Elischa und der Karmel |
Eine hebräische Legende erzählt: Als der Prophet Elija auf dem
Berg Karmel lebte, pflegte er von Zeit zu Zeit seine Grotte zu
verlassen, um betend auf dem Berg spazieren zu gehen. Niemals
nahm er Speise mit sich, denn er vertraute auf die göttliche
Vorsehung. Eines Tages - so erzählt die Legende weiter - kam er
an einer Anlage mit herrlichen Melonen vorbei. Er bat den
Besitzer um eine Melone als Kostprobe. Dieser jedoch antwortete
mit spöttischem Lächeln: "Das sind doch keine Melonen,
sondern hingeworfene Steine!" Den Propheten erfaßte wegen
dieser Antwort ein heiliger Zorn, und er verfluchte den Acker;
augenblicklich verwandelten sich die Früchte in kleine, ovale
Steine, die auf dem Boden herumlagen.
Die Legende erklärt auf diese phantasievolle Art und Weise die Entstehung einiger charakteristischer Gesteinsarten, die heute noch auf den Abhängen des Berges Karmel zu sehen sind. Dies ist nur eines von den überaus zahlreichen Beispielen, mit denen die hebräische Überlieferung es verstanden hat, die Beziehung zur Gestalt des Propheten Elija lebendig zu erhalten. Er wurde nämlich stets in engem Zusammenhang mit dem geographischen Umfeld betrachtet. Das NT beweist, daß dem Propheten in einem langen Prozeß eine immer größere Bedeutung in der Geschichte des hebräischen Volkes zuerkannt wurde. Gleichzeitig hat auch die rabbinische Überlieferung der ersten Jahrhunderte diese Bedeutung nicht nur bestätigt, sondern auch weit ausholend auf die Spitze getrieben. Die Liturgie hat - wie man noch heute feststellen kann - diesen Zusammenhang endgültig bestätigt.
Im AT ist der sogenannte Elija-Zyklus in die Bücher der Könige aufgenommen worden (1Kön 17-19; 21; 2Kön 1-2). Diese Kapitel erzählen von den Ereignissen um den Propheten: Plötzlich ist er da, er kommt sozusagen aus dem Nichts und verschwindet dann ebenso geheimnisvoll, in den Himmel entrückt auf einem feurigen Wagen. In dem ganzen Abschnitt der Bibel gibt es nur ein Ereignis, das sich ausdrücklich auf dem Berg Karmel abspielt, und zwar der berühmte Wettstreit mit den Baals-Propheten, bei dem Elija die Jahwe-Religion gegen jede mögliche Entehrung und gegen jede Form von Synkretismus verteidigt.
Geschichtlicher Kontext
Elija stammt aus Tischbe im Ostjordanland und lebt im 9. Jh. v. Chr. im Nordreich. Die Erinnerung an David, den ersten König in Israel, der Jerusalem zur Hauptstadt des Reiches und zum einigenden Mittelpunkt der ganzen Nation gemacht hatte, ist längst vorbei. Vorbei ist auch das Andenken an seinen Sohn, den weisen Salomo, unter dessen Führung die Einheit des Volkes erstarkte und Israel eine glanzvolle Periode militärischer Macht erlebte. Bei seinem Tod zerbrach das Reich in zwei Teile: Norden und Süden gingen nun getrennte Wege.
Im Nordreich beginnen eher unruhige und notvolle Zeiten: die Regierungen Jerobeams I. und seiner unmittelbaren Nachfolger sind in keiner Weise vorbildlich in bezug auf Frieden, Geradlinigkeit und Stabilität in der Politik. Mit der Thronbesteigung des Omri (eines Usurpators wie seine Vorgänger) beginnt sich jedoch die Situation zu ändern. Um das Jahr 882 erschleicht er sich seine Vormachtstellung, läßt eine neue Stadt, Samaria, bauen, die an einer strategisch wichtigen Stelle bei der "Straße am Meer" liegt und macht sie zur Hauptstadt seines Reiches. Vom militärischen Standpunkt aus gesehen beginnt für Israel eine Zeit der Stabilisierung und großer Macht für lange Zeit (vgl. 1 Kön 22,39 über seinen Sohn Ahab): Omri gelingt es, die Grenzen zu festigen, den Aramäern die Stirn zu bieten und Moab zurückzuerobern, wie es die berühmte "Meschastele" bezeugt. Die Bibel berichtet uns nicht allzuviel über diesen König, denn sie hat kein Interesse daran, eine getreue und bis ins einzelne gehende Chronik zu schreiben. Dennoch dürfen wir vermuten, daß Omri eine bedeutende Gestalt gewesen sein muß, denn noch nach mehreren Jahrzehnten sprechen die assyrischen Annalen vom "Land" oder vom "Haus des Omri".
Die Politik des Omri ziehlt auf ein ausgedehntes Programm von Bündnissen ab, die dem Land eine Epoche der Ruhe und des Friedens sichern. Um dies zu erreichen, werden einige Ehen zwischen Mitgliedern der verschiedenen Königshäuser geschlossen. Die Enkelin des Königs, Atalia, heiratet Joram, den König des Südreichs Juda, nur um das Bündnis zwischen Nord- und Südreich zu bestärken. Noch wichtiger ist in unseren Augen die Vermählung Ahabs, des Sohnes des Omri, mit Isebel, der phönizischen Prinzessin und Tochter Etbaals, des Königs und Priesters von Tyrus. Auf diese Weise gelingt es dem Nordreich Israel, in Frieden zu leben und Unterstützung zu erhalten von einem äußerst unbequemen und schlauen Nachbarn, wie es die Phönizier sind, die ungefähr das Gebiet des heutigen Libanon beherrschen. Diese Vorteile müssen jedoch mit einem - religiös gesehen - hohen Preis bezahlt werden. In der damaligen Gesellschaft sind die politische und die geistliche Macht oft in einer Person vereint; die Grenzen beider Bereiche fließen ineinander. Wenn daher der König auch gleichzeitig Priester ist, führt dies dazu, daß die politischen und diplomatischen Interessen sich unauflöslich mit den religiösen Bestrebungen verzahnen und mit der Zeit die religiöse Haltung des Volkes stark beeinflussen und bestimmen.
Dies zeigt sich ganz deutlich, als der junge Ahab (ca. 874 v. Chr.) den Thron besteigt und seiner Gattin gegenüber eine gewisse Nachgiebigkeit und Schwäche offenbart - so geht dies wenigstens aus dem biblischen Text hervor. Der Eigensinn und der politische Einfluß Isebels gehen so weit, daß die Religion der Phönizier in Israel langsam einsickert. Wir wissen, daß in der Hauptstadt Samaria, zu Ehren Baals ein Tempel erbaut wurde (vgl. 1 Kön 16,32) und auf dem Karmel sogar ein ihm geweihter Altar stand.
In dieser Situation der Verwirrung und des religiösen Synkretismus wird Elija von Gott erwählt, um das Volk zur Wahrheit einer echten Gottesbeziehung zurückzuführen und die Bundestreue wiederherzustellen. Der berühmte Wettstreit mit den Baalspropheten, den uns das erste Buch der Könige im 18. Kapitel erzählt, ist auch die einzige Erzählung des Elija-Zyklus, die sich in der Bibel ausdrücklich auf dem Karmel abspielt. Die Wahl dieses Ortes kann leicht vom historischen Hintergrund und von der geographischen Lage her erklärt werden. Der Berg liegt ja gerade an der Grenze zwischen dem Reich Israel und dem Gebiet der Phönizier und war dazu geeignet, die Situation des Volkes zu charakterisieren: einerseits noch der Religion der Väter treu, andererseits auch schon fasziniert von den neuen Baalskulten. In der südöstlichen Gegend, die sich gegen die Ebene Jesreel öffnet, war der reinste Jahwekult beheimatet; das nordwestliche Vorgebirge hingegen, das zum Mittelmeer abfällt, war vom Baalskult geprägt. Wie das Herz des Volkes war in diesem historischen Augenblick auch der Berg geteilt zwischen Jahwe und Baal.
Die Gottheit, die in der Bibel Baal heißt, kann nicht mit absoluter Gewißheit identifiziert werden. Es ist mehr als fraglich, an eine eventuelle lokale Gottheit "Baal Karmel" oder "Baal Hadad" zu denken, die bei einigen Stämmen Kanaans als Regenspender verehrt wurde. Mit größerer Sicherheit handelt es sich um "Baal Melqart", den Gott von Tyrus. Diese letzte Erklärung wäre annehmbar, weil Tyrus in der Nähe liegt und die Königin Isebel von dort herkommt. Der hebräische Ausdruck "Baal" bedeutet ganz einfach "Gebieter, Herr" oder auch "Gemahl" und wurde im Alten Orient verwendet, um verschiedene Gottheiten zu bezeichnen oder, was noch eher zutrifft, um verschiedene lokale Erscheinungsformen einer einzigen Gottheit zu bezeichnen.
Die archäologischen Grabungen in der Stadt Ugarit haben uns reiches Material zutage gefördert, das Rückschlüsse auf diese Art von Religion gestattet. Das tragende Element scheint die Tatsache, daß Baal als Gott des Sturmes, des Regens, der großen meteorologischen Naturerscheinungen und vor allem der Fruchtbarkeit gesehen und verehrt wurde. Er ist es - für die kanaanäischen Völker -, der den Regen und die Früchte der Erde spendet. In der kanaanäischen Mythologie sind Name und Kult des Baal mit der Natur und mit dem Ablauf von Leben und Tod verquickt. Wenn Baal stirbt, stirbt auch die Natur; wenn er bei den Regenfällen im Herbst zum Leben erwacht, schenkt er der Erde Fruchtbarkeit, und der Kreislauf beginnt von neuem.
Auf diesem Hintergrund spielt sich der Kampf zwischen Elija und den Baalspropheten ab. Mit großer Wahrscheinlichkeit steht am Anfang eine Erzählung vom Ende des 9. Jh., die dann in der Zeit des babylonischen Exils (nach 587 v. Chr.) von einem Redakteur der deuteronomistischen Schule als tiefempfundenes, kunstvolles Drama geschildert wurde. Die Szene dieser Geschichte im ersten Buch der Könige ist auch geprägt von den dramatischen Umständen einer langen Trockenheit und der daraus folgenden Hungersnot, wovon auch der Geschichtsschreiber Josephus Flavius berichtet. Gerade die dringende Notwendigkeit, daß Regen falle und die Erde Frucht bringe, und die Frage, wer denn eigentlich beides schenkt, sind der Rahmen für die Konfrontation zwischen Elija und seinen Gegnern.