Symbolik des Karmel |
Der gleiche Gedanke von Fruchtbarkeit und Reichtum kommt bei Jesaja zur Sprache, wenn er das Gegenteil in einem Kontrastbild beschreibt: "Das Land welkt in Trauer dahin, der Libanon ist beschämt, seine Bäume verdorren. Die Scharon-Ebene ist zur Steppe geworden, entlaubt sind Baschan und Karmel" (Jes 33,9) (vgl. Am 1,2: "... Da welken die Auen der Hirten, und der Gipfel des Karmel verdorrt." Nah 1,4: "... Welk sind Baschan und Karmel, auch die Blüten des Libanon sind verwelkt.")
Ähnlich schildert auch Jeremia bei der Ankündigung des feindlichen Angriffs die Gefahr einer vollständigen Zerstörung und Verwüstung: "Ich schaute hin: Das Gartenland war Wüste, und all seine Städte waren zerstört" (Jer 4,26). Auch hier werden Niederlage und Vernichtung mit dem Bild des Gartenlandes (karmel) verglichen, das zur Wüste geworden ist. Aber vor allem in Jer 2 finden wir den Text, mit dem der Prophet aus Anatot ganz ausdrücklich auf unser Thema verweist. Jahwe macht Seinem Volk Vorwürfe und erinnert es dabei an die Geschichte der Vergangenheit und an die Taten Seiner Liebe: Er hat das Volk aus Ägypten herausgeführt, hat es geführt und am Leben erhalten auf dem Weg durch Wüsten, ungastliches und unbewohntes Land, um es endlich in das verheißene Land zu führen. Um dieses Land zu beschreiben (Vers 7), verwendet der Prophet wieder den Ausdruck "karmel". Man könnte den betreffenden kurzen Vers so übersetzen: "Ich aber führte euch in ein wonnevolles Land" (anstatt im wörtlichen Sinn: "in das Gartenland (karmel)". Auch diesmal bevorzugt die griechische Übersetzung ein konkretes Bild und schreibt: "Ich brachte euch zum Karmel, um euch seine Früchte und Güter genießen zu lassen") (Jer 2,7).
In diesem Abschnitt erreichen Ideal und Symbol ihren Höhepunkt. Es wird nämlich das Land geschildert, das Jahwe dem Volk nach der Prüfung in der Wüste versprochen hat: "Wenn der Herr, dein Gott, dich in ein prächtiges Land führt, ein Land mit Bächen, Quellen und Grundwasser, das im Tal und am Berg hervorquillt, ein Land mit Weizen und Gerste, mit Weinstock, Feigenbaum und Granatbaum, ein Land mit Ölbaum und Honig, ein Land, in dem du nicht armselig dein Brot essen mußt, in dem es dir an nichts fehlt, ein Land dessen Steine aus Eisen sind, aus dessen Bergen du Erz gewinnst" (Dtn 8,7-9). Auch das Buch Deuteronomium legt dem Volk ans Herz, nach der Prüfungszeit der Wüste wegen der Gaben, die ihm geschenkt werden, nicht hochmütig zu werden, sondern zu erkennen, daß die mächtige und barmherzige Hand Gottes, des Retters, am Anfang all dieser Güter wirksam ist. Der Berg Karmel wird in den Schriften des ganzen Alten Testamentes erwähnt, mit Ausnahme der Weisheitsschriften. Wir finden einen ersten Hinweis schon bei der Eroberung des verheißenen Landes:
Jos 12,22: ... der König Jokneam am Karmel, eine alte kanaanäische Stadt, scheint unter den Gebieten auf, die Josua erobert.
Jos 19,26: "... es stößt im Westen an den Karmel"
Der Karmel bezeichnet hier die süd-westliche Grenzlinie des Gebietes, das bei der Landverteilung dem Stamm Ascher zugesprochen wird.
Jdt 1,8: "... zu den Völkerschaften am Karmel."
Die Erzählung vom Feldzug des Holofernes erwähnt nochmals den Karmel.
2 Chr 26,10 Die Vulgata: (Usija) "hatte Weingärten und Winzer auf den Bergen und auf dem Karmel".
Als Schauplatz historischer Ereignisse oder als Hinweis auf biblische Landschaftsbeschreibung gewinnt der Berg Karmel erst in den Schriften der Propheten, wo er zum Bild und Symbol wird, eine ganz große Bedeutung .
(Außer den schon erwähnten Stellen kann z. B. verwiesen werden auf:
Mi 7,14: Dem "einsam lagernden" Volk wird bei der Rückkehr aus dem Exil das Bild des Karmel mit seiner üppigen Vegetation als Zeichen der Hoffnung vor Augen gestellt.
Jes 10,18: Die hohen Bäume des Waldes (ya´ar) werden zum Bild von Soldaten, die mit Pfeilen und Lanzen aus Holz bewaffnet sind, während der Wald (karmel) für den geschlossenen Rest der assyrischen Infanterie steht, die mit Stumpf und Stiel vom Feuer des Herrn vernichtet wird. Dieses Feuer flammt auf wie ein Brand, der sich in das Dickicht des Waldes hineinfrißt. (Jes 16,10; Jes 37,24; Jer 46,18)
Obwohl der Karmel als heiliger Ort, den Kontakt mit der Gottheit fördert, erlangt er in der Bibel dennoch nicht die Bedeutung anderer Berge, wie z. B. des Sinai, des Ortes der Gottes Offenbarung schlechthin. Dank seiner Eigenart erreicht er aber doch einen Symbolcharakter. Wenn es auch nicht immer leicht ist, in den biblischen Texten zu unterscheiden, wann vom eigentlichen Berg Karmel die Rede ist und wann der Ausdruck bloß als Gattungsname für Wald (Garten, Gehölz, Waldung) verwendet wird, so geben uns die verschiedenen Hinweise die Möglichkeit, im Berg Karmel der biblischen Texte eine symbolische Bedeutung zu sehen: wie jedes echte Symbol hat es eine vorwiegend eschatologische Prägung. Man kann den eschatologischen Symbolwert des Karmel nicht ausschöpfen, wenn man ihn nur in seinersichtbaren Gestalt betrachtet. Er verweist vielmehr immer über sich hinaus, auf etwas, was außerhalb der konkreten Grenzen zu finden ist. Es hilft uns, unseren Blick über den sichtbaren Horizont hinaus zu weiten. Wer den Berg Karmel betrachtet, wird auf jene transzendente Welt und auf jene göttliche Initiative verwiesen, die auch die verschiedenen Karmelklöster überall und zu jeder Zeit zu bezeugen berufen sind.