Edith
Stein
Zur Wahrheit berufen - vom
Kreuz gesegnet
Ein Lebensbild von Kard. Dr. Friedrich Wetter
Reinhold
Schneider sagt von der Frau, deren Lebensweg wir nachgehen
wollen: "Edith Stein ist eine große Hoffnung, ja
Verheißung für ihr Volk -und für unser Volk, gesetzt, daß
diese unvergleichliche Gestalt wirklich in unser Leben tritt;
daß uns erleuchtet, was sie erkannt, und die Größe und das
Schreckliche ihres Opfers beide Völker bewegt." Edith
Stein, "diese unvergleichliche Gestalt" soll in unser
Leben treten. Wir begleiten sie auf ihrem Lebensweg, der geprägt
war vom Suchen nach der Wahrheit und erhellt war vom Segen des
Kreuzes Christi. Es war ein Weg, den sie an Gottes Hand gegangen
ist.
Kindheit und Jugend in Breslau
Edith Stein wurde am 12. Oktober 1891 in
Breslau als Kind jüdischer Eltern geboren. Ihre Gehurt fiel auf
den Tag des großen jüdischen Versöhnungsfestes, auf den Jom
Kippur, der durch Fasten, Beten und Sühne für die Sünden
ausgezeichnet war. Dieses Fest am Tag ihrer Geburt stand wie ein
Vorzeichen über ihrem Leben und Sterben. Im Kreis von sieben
Geschwistern war Edith die Jüngste. Mit einunddreiviertel Jahren
verlor sie den Vater. Der Holzhandel, den er betrieben hatte, war
leidlich gegangen. Die tüchtige Mutter übernahm das Geschäft.
Sie glich der starken Frau, wie sie im Alten Testament im Buch
der Sprichwörter (31, 10-31) beschrieben wird. Frau Stein mußte
sich zuerst in das Geschäft einarbeiten. Mit ihrem nüchternen
Blick für Realitäten brachte sie es bald auf die Höhe, so daß
die Familie zu Wohlstand gelangte. Frau Stein war freigiebig, ein
Zug, den sie auch ihrer Tochter Edith vererbte. Es geschah nicht
selten, daß sie unbemittelten Leuten Holz verkaufte und das
empfangene Geld dem Käufer wieder zusteckte. Sie kaufte ganze
Waldbestände auf, um sie zur Winterszeit den Armen als Brennholz
zu überlassen.
Aus welcher Mitte lebte Frau Auguste
Stein? Das heißt zugleich: In welchem Geist wurde Edith erzogen?
Frau Stein war Jüdin, und es war ihr Stolz, es ganz zu sein. Sie
hielt sich streng an das jüdische Gesetz, fastete bis ins hohe
Alter. Wenn es um die Sache Gottes ging, gab es für sie keine
Erleichterung. Das Tischgebet wurde hebräisch verrichtet. Edith
Stein berichtete später: "Von eigentlicher Erziehung war
bei uns nicht viel die Rede. Wir Kinder lasen vom Vorbild der
Mutter wie von einem Tugendspiegel das richtige Verhalten ab. Nur
eines versuchte die gottesfürchtige Jüdin recht tief den
Kinderherzen einzuprägen: den Abscheu vor der Sünde. Wenn die
Mutter sagte: Das ist Sünde, so wußten alle, daß sie damit den
Inbegriff des Häßlichen und Menschenunwürdigen bezeichnen
wollte." Diese Erziehung in heiliger Gottesfurcht war
verbunden mit einer tiefen Mutterliebe, die Ediths Jugend
durchwärmte. Edith war aber nicht nur der Liebling der Mutter,
sondern als Jüngste auch der Liebling der Geschwister. Im Schoß
dieser Familie wuchs Edith auf und genoß eine frohe Kindheit.
Mit kindlichem Ungestüm drängte sie in
die Schule. Sie wollte lernen, Wissen erwerben. Schon in jungen
Jahren will sie wissen, was ist, ist sie auf der Suche nach der
Wahrheit. In der Schule waren Sprachen und Literatur ihre
Glanzfächer. In Mathematik und Naturwissenschaft tat sie sich
nicht leicht. Eine Klassenkameradin erinnerte sich noch nach
Jahren an Ediths "totenblasses, ängstlich-verzweifeltes
Gesicht, das sie gewöhnlich während der Klassenarheiten im
Rechnen hekam". Die drei letzten Schuljahre saßen heide
nebeneinander und halfen sich bei Klassenarbeiten mit ihren
Wissen gegenseitig aus.
Inmitten der Schulzeit geschah nun etwas
Überraschendes. Edith, immer Zweitbeste der Klasse, hatte keine
Lust mehr, in die Schule zu gehen. Das war Ostern 1906. Edith war
noch keine fünfzehn Jahre alt. Was ging in ihr vor? Die Mutter
schickte Edith nach Hamhurg, wo Ediths Schwester Else mit einem
Arzt verheiratet war. Dort sollte sie im Haushalt mithelfen. Die
Mutter hatte klug entschieden. Denn als sie nach einigen Monaten
zu Besuch nach Hamhurg kam, fand sie zu ihrer Freude, daß sich
Edith zu ihrem Vorteil entwickelt hatte. Ihre Jüngste hatte auch
wieder Lust am Studieren. Sie kehrte nach Breslau auf die
Schulbank zurück und machte 1911 ein glänzendes Abitur. Bei der
Abiturfeier charakterisierte der Direktor jede Schülerin mit
einem kurzen Satz. Als er zu Edith Stein kam, sagte er:
"Schlag an den Stein und Weisheit springt heraus." Nach
dem Abitur geht sie an die Alma Mater ihrer Heimatstadt Breslau
und belegt Germanistik, Geschichte und Psychologie. Ediths Weg
verlief also ganz normal, wenn man von dem Hamburger
Zwischenspiel absieht. Doch der Schein trügt.